Teppiche aus Indien und Nepal von Jan Kath: Er knüpft sich den Krieg vor

2022-12-08 11:57:53 By : Ms. Cherry Guo

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„Gwen, Jep and Diana with Lilly“: Bild: Jan Kath

Jan Kath ist bekannt für seine von Hand gefertigten Teppiche. Nun wagt er sich mit „Rug Bombs“ an ein brandaktuelles Thema: den Krieg.

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E ine Reaktion auf den Krieg? Durchaus. Wenn auch nicht auf diesen einen mörderischen Konflikt in der Ukraine, der zurzeit alles über­lagert. Wie auch: Ein Teppich von Jan Kath entsteht nicht in wenigen Wochen, sondern in Monaten, und wenn es eine neue Kollektion ist, dauert es oft Jahre. Doch es ist keine gewöhnliche Kollektion, die Jan Kath in dieser Woche am Rande der Documenta in Kassel vorgestellt hat. Es sind Einzelstücke, die auch provozieren sollen. „Erstmals trete ich nicht als Dekorateur, sondern als Künstler auf“, sagt Kath über seine „Rug Bombs“, die sich mit Gewalt und kriegerischen Konflikten in den vergangenen Jahrzehnten auseinandersetzen – und mit deren fatalen Folgen wie Flucht und Vertreibung.

Elf Teppiche hängen bis zum 25. September für 100 Tage in der Alten Brüderkirche in Kassel, so lange, wie die „documenta fifteen“ dauert, die an diesem Samstag beginnt. Das hochgotische ­Bau­denkmal mitten in der Stadt ist schon seit 50 Jahren entwidmet und gehört als Ver­anstaltungsort zum ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammenden Renthof, der sich als ehemaliges Karmeliterkloster und heutiges Hotel bündig an die Kirche anschließt. Über dem einstigen Altar erhebt sich nun allerdings fünf Meter hoch der Teppich „Bad Mouse“, geknüpft aus Wolle und Seide. Was wie eine Maus aussieht, könnte auch ein Soldat in Kampfmontur sein, mit etwas zu groß geratenen Gehörschützern am Helm, die wiederum an Mäuseohren erinnern. In der Hand hat die Figur ein Maschinengewehr. Die großformatige Tapisserie ist als einzige nicht eckig, sondern fein säuberlich entlang der Umrisse des Körpers ausgeschnitten.

Ihr gegenüber, wo einst die Kirchenorgel stand, hängt das wohl brisanteste Werk der Ausstellung: „Gwen, Jep and Diana with Lilly, Pennsylvania“, heißt es. Fast fotorealistisch blickt eine Familie samt Katze (Lilly) aus ihrem Wohnzimmer auf den Betrachter herab. Die Szenerie wirkt wie ein Familienidyll, wäre da nicht das Schnellfeuergewehr, das der Vater stolz in die Luft hält, neben der lächelnden Mutter liegt ein Revolver auf der Couch, an der noch eine weitere Waffe lehnt.

„Das Foto“, erzählt Jan Kath, „stammt von Kyle Cassidy und wurde 2006 in seinem Bildband ,Armed America‘ veröffentlicht.“ Kath hat das Foto nahezu originalgetreu umgesetzt, technisch eine immense Herausforderung. Vier Knüpfer haben vier Monate in Kathmandu an dem 3,75 Meter mal 2,50 Meter großen Teppich gearbeitet. 200 Knoten kommen auf einen Quadrat-Inch, was etwa 6,45 Quadratzentimetern – einer Briefmarke – entspricht. Zweimal je 80 Farben (Wolle und Seide) wurden verknüpft. Das Unikat kostet 37.500 Euro. Die Erlaubnis, das Foto zu verwenden, hat Kath sich eigens bei Cassidy eingeholt, selbst die drei abgebildeten Personen haben zugestimmt. Und das mit Stolz, denn Waffen seien Teil seiner Kultur – und gehörten auch zum Familienerbe, wie Vater Jep dem Fotografen sagte.

Für Jan Kath steht dieser Teppich am Beginn der Geschichte, die er mit seinen „Rug Bombs“ spätestens schon seit dem Jahr 2015 erzählen will. „Das Bild zeigt, woher Gewalt kommt“, sagt der Neunundvierzigjährige. Die anderen zehn Arbeiten zeigten die Konsequenzen: ein Panzer, der in den Krieg zieht („Tank“), ein Flugzeug, das Bomben abwirft („Stealth“), ein ­Hubschrauber, der Raketen abschießt („Apache“), Flüchtlinge auf dem Mittelmeer („On High Seas“) und auf einer griechischen Insel („Stopover“).

Der Teppich „Ice People“ geht zeitlich am weitesten zurück: Er zeigt ebenfalls ein berühmtes Foto aus dem Jahr 1945, das gemeinhin den Titel „Auf dem Weg über das zugefrorene Haff“ trägt. Von der damaligen Flucht seiner Urgroßmutter auf einem Pferdefuhrwerk aus Schlesien über die zugefrorene Ostsee hatten ihm als Kind seine Tanten erzählt. „Ich hatte schon immer eine lebhafte Phantasie“, sagt Jan Kath. „Erzähltes manifestiert sich in meiner Erinnerung in visueller Form.“ Auch die Erlebnisse des Großvaters mütter­licher­seits, der Wehrmachtssoldat war, haben ihn seit seiner Kindheit nicht mehr losgelassen. „Er war in Polen, Frankreich und Russland eingesetzt“, erzählt Kath. Er habe ihn mitgenommen in die Schützengräben, in die Kämpfe kurz vor Stalingrad. „Ich war dabei, als er sein Auge verlor und die meisten seiner Kameraden.“ All das sei nun in diese Ausstellung mit eingeflossen.

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Teppiche, die vom Krieg erzählen, haben eine lange Tradition. In Afghanistan erlebte sie vor 40 Jahren eine neue Blüte, als sowjetische Truppen das Land überfielen. „Die Menschen fingen an, Panzer und Gewehre in ihre traditionellen Muster einfließen zu lassen“, erzählt Kath. Der Krieg war Teil ihres Lebens geworden, und genau das, den Alltag der Menschen, haben Teppiche auch schon immer als Bilder für die Wand oder den Boden gezeigt. Kath bezieht sich mit seinen Werken auch auf diese „War Rugs“, die ihn schon als Kind an der Seite seines Vaters Martin Kath, der wie der Großvater mit Teppichen in Bochum handelte, auf ihren gemeinsamen Reisen in den Orient begeisterten.

„Ich sehe mich ein bisschen in dieser Kontinuität“, sagt Kath. Und weil er schon so lange Teil dieser für uns eigentlich fremden Kultur ist, sie als Auftraggeber in eigenen Manufakturen in Nepal, Thailand, Indien, Marokko und der Türkei unterstützt und fördert, hat er sie sich auch nicht angeeignet. „Das hat nichts Aufgesetztes.“ Die Teppiche will er, nachdem sie in Kassel, Berlin und wohl auch Paris ausgestellt worden sind, durchaus verkaufen. Einen Galeristen hat er auch schon gefunden, Patrick Droste. Auch das, sagt er, sei etwas ganz Neues für ihn. Weil er sich eben bislang nicht als Künstler verstanden hat.

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Teppiche aus Indien und Nepal

Er knüpft sich den Krieg vor

Jan Kath ist bekannt für seine von Hand gefertigten Teppiche. Nun wagt er sich mit „Rug Bombs“ an ein brandaktuelles Thema: den Krieg.

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