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2022-12-08 11:56:02 By : Mr. Wang Yongliang

Am Boden: Das Interesse an Orientteppichen sinkt.

Der handgeknüpfte Perser galt lange als Inbegriff der Wohnkultur. Und dann als spießig.

Dem Perser ging es schon mal besser. Das hat ausnahmsweise nichts mit einem amerikanischen Präsidenten zu tun oder mit Politik im Allgemeinen, sondern mit unseren wechselnden Moden und Marotten. Jahrzehntelang galt das handgeknüpfte Stück als Zeichen gehobener Wohnkultur, als Ausweis von Geschmack und Weltläufigkeit - und für manche sogar als schönste Form der Geldanlage. Vorbei.

Wer sich gerade durch Online-Verkaufsportale klickt, kann an einem Abend gleich tonnenweise "100 Prozent echte, handgeknüpfte" Seidenteppiche erwerben. Da dümpeln wunderbare Stücke vor sich hin, prachtvolle Muster und sagenhafte Farbkombinationen. Manche sogar "ganz sauber" und garantiert nicht aus einem Raucher- oder Tierhaushalt. Es hilft nichts. Selbst Traditionsgeschäfte machten in den Innenstädten eher durch Rabatte, Total-Ausverkauf oder Geschäftsaufgaben von sich reden. Was ist da passiert?

Offenbar hat der gute alte Orientteppich ebenso an Wert wie an Ansehen verloren. Und das liegt bestimmt nicht an seiner Knüpfdichte oder seinen hervorragenden Eigenschaften. Wer schon mal an einem Wintertag über blanken Fußboden oder einen Perser ging, weiß, wie gut ein Teppich gegen Kälte isoliert, ja gefühlt sogar das Raumklima verbessert. "Wo dein Teppich liegt, da ist dein Heim", lautet nicht umsonst ein persisches Sprichwort. Eigentlich perfekt fürs Zeitalter der Wohnnomaden, die mal schnell ein Notebook untern Arm klemmen und die Zahnbürste.

Licht, Feuchtigkeit, Käfer und zu starke Staubsauger - die Feinde eines guten Orientteppichs sind zahlreich. Dazu zählen auch Haustiere, wie es Gerhard Polt so unnachahmlich in seinem Hundesketch vorführte: "Ja Hindemith, gehst du weg da vom Perser!" Davon hat sich das gute Stück offenbar nicht mehr erholt. Mal schnell "Perserteppich" im Netz gegoogelt - und schon kommt als Vorschlag "spießig". Zu sehr ist das Schmuckstück mit einer Generation verbunden, die von Urlaubsfahrten gerne ein solches Stück nach Hause schleppte - oder gleich zwei, drei. Denn verwoben in jeden Teppich waren schließlich immer auch Urlaubsgeschichten, die mit "weißt du noch?" begannen. Schon erstaunlich, was das Wort "Perserteppich" immer noch auslöst. Da ersteht ein Suq vor uns, samt Aladdin und seinen Abenteuern aus Tausendundeiner Nacht. Instinktiv wissen wir: Jetzt müssen wir handeln. Wie das Feilschen aber richtig funktioniert, erklärt Ralph Caspers in der "Sendung mit der Maus" an einem Teppich: ausgesprochen höflich und mit einer Tasse Tee. Ein gutes Geschäft ist eben nur eines, von dem beide Seiten profitieren.

Die Zahl der Fernreisen steigt, das Interesse an Orientteppichen sinkt - nicht zum ersten Mal. Die seltsame Karriere des Handelsguts, das sich so gut klein machen kann, beginnt in der Antike. Schon die Griechen erwähnen den ebenso schönen wie praktischen Bodenschmuck der Perser. Doch weniger die Türken vor Wien brachten den Teppich schließlich nach Westen als vielmehr kluge Kaufleute, die erkannten, wie mit exotischen Motiven und fantasievollen Bildwelten Kasse zu machen war. Die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts befeuerten die Nachfrage nach fremden Gütern. Plötzlich war der Perser in Mode. Zu dieser Zeit entstanden große Teppichmanufakturen, um die vielen Wünsche nach echten, handgeknüpften Stücken überhaupt erfüllen zu können. Der Erste Weltkrieg setzte dem Boom in Europa ein Ende, die Weltwirtschaftskrise beendete den Siegeszug in den Vereinigten Staaten. Doch nur zeitweise. 1935 verstaatlichte Reza Schah ausländische Teppichhersteller. Die Iran Carpet Company übernahm die Produktion, die weiterhin weltweit vertrieben wurde. Eine Blüte erlebte der Perser in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, als kaufkräftige Westler erneut dem Zauber der Exotik und perfekter Handarbeit verfielen. Doch irgendwann war der Boom gebrochen. Angestaubte Motive und ausbleibende Sammler - das ist keine gute Verbindung für eine Handwerkskunst, die durch Billigimporte und maschinelle Verfahren unter Druck steckt. Ihren Platz haben moderne Teppichdesigner eingenommen wie der Bochumer Jan Kath oder Nani Marquina aus Barcelona, die zeitgemäße Modelle anbieten, in frischen Farben und Ornamenten. Da sieht ein neues Stück aus wie ein abgewetzter alter Fetzen. Oder wie ein Blick in die Milchstraße. Oder wie eine Skizze von Javier Mariscal.

Auch die Neuen handeln mit Unikaten, die in stundenlanger Arbeit entstehen. Ali Oskui, Preisträger des Best International Carpet Design Award 2014, sieht sich etwa als Komponist der Knoten: Jede Verknüpfung sei wie eine Note in der Musik, "für sich alleine betrachtet bedeutungslos". Aber im Zusammenspiel aus Farbe, Material und Design wachse aus vielen Knoten ein harmonisches Gesamtwerk. Eine neue Generation von Handwerkern arbeitet mit internationalen Designern, die neben Seide und (Baum)-Wolle schon mal mit Hanf oder Bambus-Seide experimentieren. Seit rund zwei Jahrzehnten verspricht das Good-Weave-Siegel (https://goodweave.org/) Teppiche ohne Kinderarbeit.

Orientteppiche sind Zeichen einer ununterbrochenen Traditionskette, die sich gerade neu erfindet. Das Besondere der Teppichkunst bleibt - als begehbares Bild. Und auch ihre Faszination. Die Hand spürt Wellen, Täler und Berge, wo lange Zeit nur perfekte Flächen waren. Und das Auge? Das folgt den Strukturen und dem Licht, das sie in Bewegung bringt. Vielleicht sprechen Magazine und Wohnberater daher schon von einer Renaissance. Fast möchte man den Skeptikern zurufen: Mehr Perser wagen. Seit zehn Jahren ist die alte Tradition des Teppichknüpfens sogar in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.

So zerbrechlich Teppiche auch zu sein scheinen, sie halten sich über Jahrhunderte. Gut möglich, dass sie auch dieses Nachfragetal überleben. Bis dahin liegen sie uns brav zu Füßen.

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